Warum faszinieren uns Zauberkünstler, warum sind wir anfällig für Verschwörungstheorien, trauen den Sternen zu, unser Schicksal zu bestimmen, warum glauben wir, Zuckerkugeln seien Medizin, reden mit unsichtbaren, allmächtigen Fantasiewesen und Verstorbenen oder fallen auf Betrüger herein? Weil unser Gehirn so funktioniert, dass wir uns leicht täuschen lassen. Das kritische Denken ist eine Methode, die Auswirkungen dieser Täuschungen zu reduzieren und sie frühzeitig zu erkennen.
Ein wichtiger Aspekt des kritischen Denkens ist es, sich der Unzulänglichkeiten der eigenen (!) Wahrnehmung bewusst zu werden. Diese Unzulänglichkeiten gehen übrigens nicht weg, wenn man kritisches Denken trainiert. Aber es ist hilfreich, um damit besser umgehen zu können. Wir können nicht verhindern, getäuscht zu werden, aber wir können erkennen, wenn das passiert und uns so vor unerwünschten Konsequenzen schützen. Sich damit auseinanderzusetzen und die eigenen Grenzen immer besser kennen zu lernen, ist ein lebenslanger Prozess.
Das Ziel ist, sich einen kleinen inneren Supervisor heranzuzüchten, welcher das eigene Verhalten und den Umgang mit Sinneseindrücken überwacht und der im Zweifelsfall darauf hinweist, dass unser Gehirn gerade Dinge erfindet, die nichts mit der Realität zu tun haben.
Ein anschauliches Beispiel für diese Wahrnehmungsverzerrungen sind optische Täuschungen. Unser Sehapparat entspricht nicht einer Kamera, die optische Sinneseindrücke originalgetreu abbildet. Das eher unzulänglich arbeitende Auge selbst ist schon nicht in der Lage, ein großflächiges, fehlerfreies Bild an das Gehirn zu senden. Die Ränder sind unscharf, in dem Bereich der Netzhaut, an dem das Sehnervenbündel ins Gehirn führt, fehlen Informationen, wir sehen vergleichsweise wenige Farben, die Auflösung ist gering und so werden nur optische Bildschnipsel an das Gehirn übermittelt, dort mit Erfahrungen, Erwartungen, Erinnerungen und anderen aktuellen Wahrnehmungen kombiniert und dann daraus ein Bild zusammengeklöppelt, das vielleicht teilweise der Realität entspricht.
Zu optischen Täuschungen gibt es viele prominente Beispiele. Dieses Bild zeigt, was unsere Wahrnehmung unter bestimmten Umständen aus völlig geraden und parallel verlaufenden Linien macht:
Viele weitere optische Täuschungen finden sich z.B. hier und hier.
Was wir sehen, hängt auch von unserer Aufmerksamkeit und Erwartung ab. Die Monkey Business Illusion zeigt eindrucksvoll, wie uns wichtige Informationen entgehen, weil wir nicht mit ihnen rechnen:
Natürlich betreffen diese Täuschungen nicht nur unsere optische Wahrnehmung, sondern alle Arten von Eindrücken, denen wir ausgesetzt sind und sogar unsere Erinnerungen. In den folgenden Artikeln möchte ich in einer kleinen Blog-Serie einige Illusionen, Irrtümer, Täuschungen, Fehlschlüsse und kognitive Verzerrungen vorstellen und zeigen, warum kritisches Denken im Alltag sinnvoll und nützlich ist, das Zusammenleben in einer Gesellschaft verbessert und uns vor Fehlentscheidungen schützen kann.
Eine kleine Einführung in die Welt der Sinnestäuschungen liefert Ralph Caspers in diesem schönen Video:
Auszug aus Ware Hoffnung, Kapitel 18 „Kompetenz“:
Mike hantierte kurz unter dem Tisch mit den Schaumstoffkugeln, bis nur noch eine rot gefärbte in seiner linken Hand zu sehen war. Nach einer schnellen Handbewegung erschien ein weiterer Ball in seiner rechten Hand, während jener auf der linken Seite seine Farbe in grün gewechselt hatte. Mike ließ den grünen Ball in seiner Hosentasche verschwinden, während gleichzeitig in der rechten Hand ein zweiter Ball erschien. Dann zog er den grünen Ball wieder aus der Tasche und zu Ricardos Erstaunen war dieser nun gelb, wie auch die beiden anderen. Wieder folgte eine schnelle Bewegung und sämtliche Bälle waren verschwunden. Anschließend präsentierte Mike eine etwas andere Variante der Vorführung und endete mit insgesamt acht blauen Bällen in seinen Händen.
Ricardo lachte begeistert und rief: »Sieht toll aus. Verrätst du mir den Trick?« Er wusste genau, dass Mike das niemals tun würde, versuchte es aber trotzdem immer wieder.
»Finde es selbst heraus!«, grinste Mike zurück und ließ die Bälle schnell in seiner Hose verschwinden. »Es ist einfacher, als du denkst. Du musst dich nur von dem lösen, was du zu sehen glaubst.«
»Irgendwas mit unsichtbaren Fäden? Oder hast du etwas in deinen Ärmeln versteckt?«, bohrte Ricardo nach, während er die Tüte mit den Bagels öffnete und in Mikes Richtung schob.
»Wie gesagt«, antwortete Mike, »es ist eine Illusion. Löse dich von dem, was deine Wahrnehmung dir vorgaukelt. Die erfüllt einfach nur deine Erwartungen, aber die haben nicht viel mit der Realität zu tun.«
Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen.
Links:
Wikipedia: Liste kognitiver Verzerrungen
The Monkey Business Illusion – A Great New Take On A Classic Psychology Study
Kategorie: Kritisches Denken
Themen: Illusion, kognitive Verzerrungen, optische Täuschungen, Täuschung, Wahrnehmung