Einer der ersten Freie-Energie-Scams, die mir über den Weg gelaufen sind, war das Wasserauto. Das muss ca. 2003 gewesen sein. Zeitungen berichteten über einen Erfinder, der sein Auto nur mit Wasser betankt. Auto-Bild schickte sogar mehrmals Reporter nach Manila, um das Wunderwerk zu besichtigen, probezufahren und den Fortschritt der Entwicklung zu dokumentieren.
Die behauptete Funktionsweise eines Wasserautos sieht so aus:
Mit Hilfe der Batteriespannung wird ein Elektrolysator betrieben, der gewöhnliches Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet. Dieses Gemisch, in der Szene oft HHO oder Browns Gas genannt (in Wirklichkeit gewöhnliches Knallgas), wird dem Verbrennungsmotor als Treibstoff zugeführt. Über die Lichtmaschine wird die Batterie, genauer der Akkumulator, ständig aufgeladen.
Mir kamen die Behauptungen damals sofort sehr seltsam vor. Bei der Verbrennung des Knallgases entsteht Wasser. Also wäre es, glaubt man den Wassertoff-Tüftlern, doch kein Problem, dieses einzufangen und wieder in den Tank zu leiten. Schon hätten wir eine immerwährende Maschine, ein Perpetuum mobile, das ohne Zufuhr von Energie funktioniert und dabei auch noch Arbeit verrichten kann. Der Wirkungsgrad wäre also größer als 100%.
Da der Energieerhaltungssatz in der Geschichte des Universums noch keine Schwächen gezeigt hat, fällt diese Möglichkeit natürlich aus. Spricht man die Erfinder darauf an, haben sie allerdings schnell eine alternative Erklärung parat: Es handele sich nicht um eine gewöhnliche Elektrolyse, sondern die Umwandlung des Wassers in seine gasförmigen Bestandteile erfolge mit Hilfe spezieller(!) Frequenzen, die dafür sorgten, dass dem Kreislauf irgendwie kosmische Energie zugeführt wird.
Über kosmische Energie wissen wir ganz gut Bescheid. Sie erreicht uns hauptsächlich in Form elektromagnetischer Strahlung, deren Spektrum und Intensität ständig überwacht wird. Da gibt es keine auffälligen Anomalien, die eine Lücke für den Antrieb eines Autos lassen würde. Die Strahlung ist einfach zu schwach. Zum Glück für unsere Gesundheit.
Auch ionisierende Strahlung fällt aus naheliegenden Gründen aus. Und Energie in Form von Gravitationswellen kommt bei uns nicht in einer Dichte und Intensität an, die für den Antrieb eines Motors geeignet wäre.
Es muss sich also bei der geheimen Energiequelle des Wasserautos um etwas handeln, das unbekannt und nicht nachweisbar ist. Ein hervorragender Ausweg, um umplausible Behauptungen zu rechtfertigen. Allerdings haben wir es hier mit einer nicht falsifizierbaren Behauptung zu tun. Da nicht definiert ist, um was es sich hier handelt, ist eine Widerlegung unmöglich und die Behauptung kann verworfen werden. Das ist ein typisches Merkmal von Pseudowissenschaften.
In langen Diskussionen auf einer Seite namens wasserauto.de (inzwischen offline) wurde gestritten, ob diese Form des Antriebs physikalisch möglich ist oder ob „die Wissenschaft“ einfach noch nicht so weit ist oder einen wesentlichen Punkt übersehen hat. Auch im Forum motortalk.de wurde fleißig spekuliert, allerdings etwas faktenbasierter: https://www.motor-talk.de/forum/wasserauto-t333654.html
Gehen wir pragmatisch an die Sache heran:
Eine derartige Erfindung wäre natürlich eine Sensation und man könnte viel Geld damit verdienen. Aber auch Ruhm und wissenschaftliche Reputation wären den Erfindern sicher. Tatsächlich möchte aber keines dieser Genies darüber reden, wie seine Erfindung funktioniert. Ausreden sind schnell gefunden: Man wolle nicht, dass die großen Konzerne sich die Konstruktion unter den Nagel reißen, man habe Angst vor den Killerkommandos der Ölindustrie oder, im Falle des philippinischen Bastlers Daniel Dingel, die Erfindung sei zu einfach, um sie zu patentieren, weshalb sie geheim gehalten werden müsse.
Elektrolyse ist keine Geheimwissenschaft. Im Gegenteil. Auf dem Gebiet wurde und wird unglaublich viel Forschung und Entwicklung betrieben. Gäbe es da einen geheimen Effekt, hätte ihn vermutlich bereits jemand entdeckt.
Wichtiger noch: Chemische Reaktionen finden im Universum immer und überall statt. Gäbe es einen Mechanismus, der dazu führen würde, dass der Energieerhaltungssatz gebrochen würde, hätte man den längst beobachten müssen, und zwar nicht nur in Dingels Auto.
Schauen wir uns Dingels Konstruktion an:
Der Kasten soll den „Reaktor“ darstellen, also das Elektrolysegerät. Ohne viel zu rechnen fällt schon auf, dass die dünnen Kabel kaum genug Leistung übertragen können, um einen Hochleistungs-Elektrolysator zu betreiben, der in Echtzeit einen Verbrennungsmotor mit einer Leistung von ca. 90 kW betreiben soll. Auch die Schläuche sind natürlich viel zu dünn für diesen Zweck.
Nach Berichten von Auto-Bild fuhr das Auto aber tatsächlich und aus dem Auspuff kam nichts als Wasser. Eine nähere Untersuchung des Fahrzeugs war den Journalisten jedoch nicht gestattet. Das deutet also auf eine versteckte Energiequelle wie einen Wassertofftank hin.
Nach Dingel kamen viele weitere HHO-Scams an die Öffentlichkeit. Das jüngste mir bekannte Projekt dieser Art hat eine Firma aus Süddeutschland aufgezogen, die ganz unverhohlen auf staatliche Fördergelder in Millionenhöhe hofft. Zwei CDU-Politiker und ein Bürgermeister fielen zunächst darauf herein. Später hat man jedoch nichts mehr davon gehört.
Und was wurde aus Daniel Dingel? Er erhielt im Jahr 2000 von einem philippinischen Mischkonzern 410.000 Dollar und wurde 2008 wegen Betrugs zu einer Haftstrafe von 20 Jahren verurteilt. 2010 starb er.
Die Wasserauto-Geschichte war, wenn ich mich recht erinnere, mein Einstieg in das Debunking von Pseudowissenschaften. Mein Interesse war geweckt und es folgten viele weitere Scams, mit denen ich mich intensiv beschäftigt habe und über die ich hier noch berichten werde.
Kam euch eine Meldung zu neuen Energie-Technologien verdächtig vor? Dann hinterlasst doch einfach einen Hinweis in den Kommentaren.
Ein Auszug aus Ware Hoffnung, Kapitel 18 „Kompetenz“:
»Das wäre auf jeden Fall ein Ansatzpunkt«, bemerkte Ragnar. »Du kannst nicht einfach irgendwas behaupten und davon ausgehen, dass es dann ohne Nachfragen akzeptiert wird. Wenn jemand erzählt, eine Maschine bräuchte keinen Treibstoff, weil sie von einer geheimnisvollen Strahlung aus dem All angetrieben wird, die aber angeblich nicht nachweisbar ist, dann hast du eine nicht falsifizierbare Aussage. Karl Popper hat diese Idee etabliert, dass eine Aussage grundsätzlich so beschaffen sein muss, dass sie widerlegbar ist. Wenn deine Behauptung nicht entsprechend präzise formuliert ist, kann dich auch niemand widerlegen. Wenn du aber etwa erklärst, dass diese Strahlung eine definierte Frequenz und Leistung besitzt und vielleicht aus einer bestimmten Quelle kommt, lässt sich das nachmessen. Wenn es dafür kein Messgerät gibt, baut man eines. Wenn das auch nicht geht, bleibt ein indirekter Nachweis, weil diese Strahlung vielleicht irgendwelche anderen Teilchen anregt, Lichtblitze zu erzeugen. In jedem Fall muss es einen beobachtbaren Effekt geben, der sich wiederholbar zeigen lässt. Ist das nicht der Fall, gibt es diese Strahlung höchstwahrscheinlich überhaupt nicht, denn wenn es sie gäbe, würde sie sich irgendwie bemerkbar machen, und zwar nicht nur in deiner Zaubermaschine, in die niemand reinschauen darf.«
Links:
Aardvark Daily: The proof that HHO is a scam
Wikipedia (en): Water-fuelled car
GWUP-Blog: SkepKon-Rückblick: Benzin sparen durch „magisches“ Zubehör fürs Auto?
Astrodicticum Simplex: Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft
Kategorie: Scam
Themen: Energieerhaltungssatz, Freie Energie, HHO, Scam, Wasserauto, Wasserstoff